melliand Textilberichte 2/2023

AUSGABE 2 20 23 DEUTSCH IN DIESER AUSGABE Fasern AMSilk C. Gerhardt ITA Lenzing List Technology Toray Spinnerei Strickerei Textilveredlung D 5 8 6 2 E FASERN, SPINNEREI, WEBEREI, STRICKEREI, TEXTILVEREDLUNG BESUCHEN SIE UNS AUF: TEXTILETECHNOLOGY.NET

BEREIT FÜR JETZT UND DIE ZUKUNFT MODERN, FUNDIERT, PROFESSIONELL, CROSSMEDIAL textiletechnology.net Neue Farben Neue Logos Neue Layouts Beständiger Content

Charles Beauduin Vorsitzender ITMA Services Innovationen transformieren die textile Welt Digitalisierung und Nachhaltigkeit treiben die Entwicklung neuer Technologien gemeinsam voran und führen zu kontinuierlichen Verbesserungen für Maschinenbauunternehmen und somit für die gesamte Textilindustrie. Solche neuartigen Technologien werden auf der ITMA, die vom 8.–14. Juni 2023 in Mailand/Italien stattfindet, eine bedeutende Rolle spielen. Big Data: Die Vorteile der Digitalisierung in der Textilproduktion umfassen Entwicklungen innerhalb einzelner Anlagen in Bereichen wie fortschrittlicher Fehlererkennung und routinemäßiger Wartung bis hin zur Kontrolle ganzer „Smart Factories“ und darüber hinaus. Big-Data-„off-the-shelf“-Systeme werden speziell auf Machine-Learning-Lösungen zugeschnitten, um die Fehlererkennung und die Genauigkeit bei der Benennung und Bewertung subtiler Mängel in Textilien innerhalb von Produktionsumgebungen in Echtzeit zu verbessern. Eine der neuesten Entwicklungen ist die Fähigkeit, selbst die subtilsten Mängel in gemusterten Materialien genau zu erkennen. Die Herausforderung hierbei ist, dass textile Materialien nicht starr sind, geknittert oder gestreckt werden können und auch lokalen Verzerrungen unterliegen, was zu vielen falsch positiven Ergebnissen bei der Fehlererkennung führt. Eine ausgefeilte Software für die Musterinspektion, die mit Geschwindigkeiten von bis zu 100 m/min läuft, sorgt mittlerweile jedoch für ein sauberes Bild und ermöglicht auch die Fehlererkennung in gemusterten Stoffen. Gut getaktet: In der Zwischenzeit können Smart-Factory- Produktionsmaschinen untereinander kommunizieren und machen viele neue Funktionen möglich, z.B. die Echtzeit-Überwachung und die automatische Auslösung von Korrekturen auf Basis historischer Daten, die sich in Echtzeit anpassen können. Bei der Digitalisierung geht es vor allem darum, den Ablauf einer gesamten Anlage weiter zu optimieren und zunehmend Netzwerke von Anlagen zu betreiben, die weltweit gut getaktet sind. Der 3D-Druck ist eine weitere nützliche Technologie, die von Maschinenbauern verwendet wird, um Prototypen von Teilen schnell zu erstellen und eine lebendige Zusammenarbeit verschiedener Produktionsbereiche zu ermöglichen. Außerdem erlaubt er flexible und personalisierte Designs, die zuvor nicht möglich waren. Hinzu kommen der Einsatz eingebetteter Informatiksysteme für die verschiedenen Produktionsbereiche und die Integration kollaborativer Roboter in Fertigungsnetzwerke. In Maschinen eingebettete Sensoren zur Datenerfassung verbessern weiterhin die Anlagen- und Produktüberwachung und die Kommunikation innerhalb der Textilfertigung, und eine vorausschauende Wartung kann Zeitpläne optimieren und Kosten senken, während Augmented Reality die Bediener bei der Wartung unterstützt. Cloud Computing und Big-Data-Analysen ermöglichen die Erfassung und Verarbeitung einer erheblichen Menge an Informationen, die die Produktionsmaschinen zur Verfügung stellen. Die verfügbaren Daten führen zu einer verbesserten Planung, Überwachung, Prozess- und Produktrückverfolgbarkeit sowie zu präventiver und vorausschauender Wartung. Go for green: Unter dem Druck, umweltfreundliche Praktiken zu übernehmen, hat die Textilbranche begonnen, sich auf innovativeWeise neu zu erfinden. Es gibt bedeutende Innovationen im Bereich des Faser-zu-Faser-Recyclings, um Textilabfälle in neue Fasern umzuwandeln, die dann zur Herstellung neuer Kleidung oder anderer Textilprodukte verwendet werden. Der wachsende Fokus auf Kreislaufwirtschaft und neue Technologien hat das Augenmerk auf chemische Recyclingwege und eine vollständige Materialrückgewinnung sowie auf die digitale Trennung und Sortierung gelenkt. Große Fortschritte werden bei Färbe-, Veredlungs- und Beschichtungsprozessen erzielt – traditionell die ressourcenintensivsten Bereiche der Textilproduktion. Eine Reihe von ITMA-2023-Ausstellern wird kommerzielle Technologien für die kontaktlose Sprühanwendung bei diesen Prozessen präsentieren, die enorme Einsparungen ermöglichen. Durch die Präzision, die durch die neuesten sensorbasierten Steuerungssysteme möglich ist, tragen die Textilhersteller nur die benötigte Menge an Farbstoff oder chemischer Behandlung auf die Gewebeoberflächen auf. Komplett wasserfreie Färbeeinheiten, bei denen zurückgewonnenes CO2 in geschlossenen Kreislaufprozessen Wasser als Färbemedium ersetzt, werden ebenfalls kommerziell verfügbar. Wenn CO2 erhitzt und unter Druck gesetzt wird, wird es überkritisch – eine Phase zwischen Flüssigkeit und Gas. In diesem Zustand können Farbstoffe leicht und tief in die Fasern eindringen und lebendige Farben erzeugen. Energiekosten: Steigende Energiekosten haben zunehmend Druck auf die Textilindustrie und ihre Lieferketten ausgeübt. Auf der ITMA 2023 wird deutlich werden, dass dies die Entwicklung neuer innovativer Technologien in engem Kontakt mit den Kunden weiter vorangetrieben hat. Als Covid-19 z.B. das Reisen unmöglich machte, wendeten viele Maschinenbauer neue Tools zur Remoteunterstützung an, entwickelten ihre eigene Inhouse-Software und gründeten sogar eigene Designabteilungen. Diese Erfahrung hat die vielen Dienstleistungen, die die Maschinenbauer in der Textilindustrie jetzt anbieten können, wirklich verbessert, was auf der ITMA 2023 sehr deutlich werden wird. Als größte internationale Ausstellung für Textil- und Bekleidungstechnologie wird die ITMA 2023 ein Innovationshub sein, auf dem die Besucher die neuesten Technologien und Lösungen von über 1.600 Ausstellern finden können, die einen Beitrag zur Transformation der textilen Welt leisten. Die Messeteilnehmer sollten auch Zeit finden, um das neue Start-up Valley zu erkunden, womit sie ihre transformative Reise in eine digitale und nachhaltige Zukunft beginnen können. 3 MELLIAND TEXTILBERICHTE 2 | 2023 LEITARTIKEL

INHALT AUSGABE 2 | 2023 | JAHRGANG 104 LEITARTIKEL 3 Innovationen transformieren die textile Welt C. Beauduin NEWS 6 – 13 DETAI LS SIEHE S. 6 FASERN & GARNE 14 Verfahren zur Herstellung von Bio-Adipinsäure Toray 16 Lyocell 2.0 M. Steiner SPINNEREI 20 Innovative Regelstrategien führen zu Energieeinsparungen beim Betrieb der Lufttechnik airinotec BAND- UND FLECHTINDUSTRIE 22 Verbundgerecht profilierte Textilbetonbewehrungen P. Penzel et al. 26 U ntersuchung von Raschel-Verpackungsnetzen im Obst- und Gemüsesortiment A. Lindenbuß et al. STRICKEREI 29 Maßgeschneiderte Produkte mittels 3D-Druck Karl Mayer Group TEXTI LVEREDLUNG 31 Warum der digitale Textildruck die Textilindustrie nachhaltiger macht I. Bargende et al. 34 Vorhersagen von Beschichtungseigenschaften mittels simpler Extraktionsmethodik O. Deußen, L. Zibula Seite 29 Seite 27 4 MELLIAND TEXTILBERICHTE 2 | 2023 INHALT

WWW.TEXTILETECHNOLOGY.NET Seite 36 TEXTI L INDUSTRIE 36 Neuartige Polymere verkapseln Duftstoffe Universität Jena MANAGEMENT 10 Peter Bolten, Christian Prause 10 Mariano Amezcua 29 Ramesh Kesh, Eric Yung 29 Rajko Hunger 35 Oliver Loskant 35 Kim Scholze, Rüdiger Fox INTERVIEW 38 Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks mit biobasierten Farbstoffen G. Boissonat-Wu INFOS 37 Firmenindex 37 Impressum Seite 35 5 MELLIAND TEXTILBERICHTE 2 | 2023 INHALT

NEWS ÜBERS ICHT Seite 6– 13 UNTERNEHMEN: IVL Namensänderung im Geschäftsfeld Mobility Group UNTERNEHMEN: AMSilk Finanzierung für Erweiterung gesichert UNTERNEHMEN: Lenzing Umsatzplus aufgrund hoher Faserpreise NETZWERK: AFBW Wege zur Transformation in der Textilindustrie VERBAND: textil+mode Umsatz +11,7% für Textil- und Bekleidungsindustrie 2022 EVENT: Heimtextil 2024 Mit separatem Segment Carpets&Rugs NETZWERK: Textil vernetzt Mittelstand-Digital-Netzwerk unterstützt weiterhin bei der Digitalisierung INSTITUT: Hohenstein 3D-Körperdaten für Babys und Kleinkinder UNTERNEHMEN: Terrot Suche nach einem Investor für Sanierung UNTERNEHMEN: Sympatex PFAS-freie Lösungen für Funktionstextilien UNTERNEHMEN: Zimmermann 70-jähriges Jubiläum UNTERNEHMEN: Oerlikon Erneut mehr Aufträge und Umsätze 2022 UNTERNEHMEN: Dienes 110 Jahre und 4 Generationen Familiengeschichte UNTERNEHMEN: Pfaff Industrial Grundstückskauf in Bensheim durch Dürkopp Adler UNTERNEHMEN: Achroma/Huntsman Textile Effects Neuer Name ist Achroma Textile Effects Zum 1. Mai 2023 ändert IVL die Firmennamen seiner lokalen Gesellschaften, die zum Geschäftsfeld „Mobility Group“ gehören. Indorama Ventures Public Company Ltd. (IVL), Bangkok/Thailand, ist durch Übernahmen gewachsen. Mit der derzeitigen Umbenennung möchte das Unternehmen ein einheitlicheres Markenerlebnis schaffen. Der Umbenennungsprozess hat bereits begonnen und wird voraussichtlich im Mai abgeschlossen sein. Abgesehen vom Firmennamen und den E-Mail-Adressen der Ansprechpartner wird sich durch die Namensänderung nichts ändern. Die Änderung des Firmennamens ändert nichts an den bestehenden schriftlichen Verträgen und Vereinbarungen, und alle Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten bleiben von der Namensänderung ebenfalls unberührt. Als Teil des Geschäftsfelds „Mobility“ ist auch die PHP Fibers GmbH, Obernburg, von dieser Änderung betroffen. Namensänderung im Geschäftsfeld Mobility Group UNTERNEHMEN: IVL FOKUS: Business Mit einer weiteren Finanzierung kann AMSilk den industriellen Ausbau und die kommerzielle Herstellung von Seidenproteinmaterialien beschleunigen. MIG Capital AG, München, ein Venture Capital-Investor, hat am 4. April 2023 eine erweiterte Serie-C-Finanzierung bei seinem Beteiligungsunternehmen AMSilk GmbH, Planegg, abgeschlossen. AMSilk hat unter der Leitung des Bestandsinvestors Athos (AT Newtec) und unter Beteiligung von Novo Holdings, Cargill und MIG Capital weitere 25 Mill. € eingeworben, wodurch das Gesamtvolumen auf 54 Mill. € ansteigt. AMSilk stellt mit einem besonderen Fermentationsprozess komplexe Proteine im industriellen Maßstab für verschiedene Märkte wie die Textil-, Medizin- oder Konsumgüterindustrie her. Die biologisch hergestellten Seidenmaterialien bestehen zu 100 % aus Proteinen, sind vollständig biologisch abbaubar und zudem frei von Mikroplastik. Finanzierung für Erweiterung gesichert UNTERNEHMEN: AMSilk FOKUS: Business 6 NEWS MELLIAND TEXTILBERICHTE 2 | 2023

Es wird zu viel verbraucht, zu wenig recycelt und kaum gespart – auch wenn es um Textilien geht. „Reduce, Reuse, Recyle“ sollte das Ziel der zukünftigen Textilindustrie sein. So könnte dasWertstromdesign der Zukunft regionales Wachstum, Standortsicherung und eine größere Unabhängigkeit von Asien ermöglichen. Für den Weg in die Zukunft und die damit verbundene Transformation zeigt das Projekt Moon, das am 3. April 2023 von der AFBW – Allianz Faserbasierte Werkstoffe Baden-Württemberg e.V., Stuttgart, und der Gherzi Germany GmbH, Chemnitz, vorgestellt wurde, Chancen und Möglichkeiten auf. Unter dem Motto „Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen“ machte sich die AFBW zusammen mit einem kleinen Unternehmerkreis im Spätherbst 2021 auf den Weg, um über die Zukunft der textilen Branche nachzudenken. Wie aber wird diese aussehen? Wie kann sie mitgestaltet werden? Auf der Suche nach Antworten standen besonders disruptive textile Prozesse von Beginn an im Fokus. Dabei ist eine genaue Analyse der vielfältigen, komplexen Prozesse innerhalb der gesamten textilen Fertigungskette zunächst unerlässlich. Diese muss am Anfang stehen und die einzelnen Wege zur Transformation in der Textilindustrie NETZWERK: AFBW FOKUS: Innovation Wertströme und insbesondere ressourcenintensive Verfahren betrachten. Es bedarf einer belastbaren Wissensbasis, um Wertschöpfungsketten neu zu denken und ein neues Wertstromdesign voranzutreiben. Mit diesen Ergebnissen diskutierten die beteiligten Akteure über die Zukunft der textilen Branche und den besten Weg dorthin. Die von der Hanns-A.-Pielenz-Stiftung, Bönnigheim, geförderte Studie untersuchte die beschriebenen Fragestellungen und eine Reihe weiterer Fragen. Wann hat es in unserer Branche schon einmal Disruption gegeben? Was waren die Effekte und welche Ableitungen kann man daraus treffen? Wie gehen andere Industrien mit den aktuellen Herausforderungen um? Die AFBW stellt nun mit „Moon – Lust auf Zukunft“ eine Anleitung zum Umdenken und Handeln vor. Dabei werden konkrete Handlungsempfehlungen für die Transformation der textilen Branche und für den individuellen Transformationsweg von Unternehmen vorgestellt. MOON gibt Unternehmen einen Baukasten an die Hand, um die Transformation im Spannungsfeld der aktuellen Entwicklungen aktiv zu gestalten. Auch die Lenzing-Gruppe war im Geschäftsjahr 2022 wie der Großteil der verarbeitenden Industrie in Europa zunehmend von den extremen Entwicklungen an den globalen Energie- und Rohstoffmärkten betroffen. Im 3. und 4. Quartal verschlechterte sich zudem das Marktumfeld deutlich und das sich eintrübende Konsumklima belastete die Geschäftsentwicklung des Cellulosefaserherstellers Lenzing AG, Lenzing/Österreich, zusätzlich. Die Umsätze stiegen 2022 primär aufgrund höherer Faserpreise um 16,9 % auf 2,57 Mrd. €. Die verkaufte Fasermenge verringerte sich, während die verkaufte Zellstoffmenge einen Anstieg verzeichnete. Die Ergebnisentwicklung spiegelt neben dem Nachfragerückgang insbesondere die gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten wider. Das Betriebsergebnis vor Abschreibungen (EBITDA) ging 2022 um 33,3 % auf 241,9 Mill. € zurück. Das Jahresergebnis lag bei – 37,2 Mill. € (2021: 27,7 Mill. €). Vor dem Hintergrund der Ergebnisentwicklung und des deutlich verschlechterten Marktumfelds startete Lenzing im 3. Quartal Umsatzplus aufgrund hoher Faserpreise UNTERNEHMEN: Lenzing FOKUS: Business 2022 ein Programm zur Reorganisation und Kostensenkung. Die Umsetzung des Programms verläuft planmäßig und soll nach vollständiger Implementierung mindestens 70 Mill. €/Jahr an Kosten einsparen. Gleichzeitig werden weitere Maßnahmen zur Stärkung des Free Cashflow gesetzt. Dieser liegt für das Geschäftsjahr 2022 vor allem aufgrund der Investitionen in Brasilien und Thailand bei – 740,7 Mill. €. In den kommenden Monaten werden deshalb zusätzlich zum Einsparungsprogramm weitere Schritte umgesetzt sowie das Währungs- und Energiepreis-Hedging neu aufgestellt. Mit der vollständigen Inbetriebnahme des Lyocellwerks in Thailand kann Lenzing den Spezialitätenanteil deutlich erhöhen und damit die strukturell wachsende Nachfrage nach umweltverträglichen Lyocellfasern der Marken Tencel und Veocel noch besser bedienen. Die neue Produktionsanlage ist mit einer Nennkapazität von 100.000 t/Jahr die weltweit größte ihrer Art. Der benötigte Faserzellstoff kann künftig auch aus dem neuen Werk in Brasilien bereitgestellt werden. Trotz der vielfältigen Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf die Pandemie, konnte Lenzing beide Projekte pünktlich und im geplanten Kostenrahmen realisieren und die bisher produzierten Mengen erfolgreich am Markt platzieren. In China und Indonesien wandelt Lenzing derzeit bestehende Kapazitäten für herkömmliche Viskose in Kapazitäten für umweltverträgliche Spezialfasern um. In Nanjing steht Lenzing kurz vor der erfolgreichen Konvertierung einer Linie auf Tencel-Modalfasern. In Purwakarta schafft das Unternehmen zusätzliche Kapazitäten für Fasern der Marke Lenzing Ecovero. Der indonesische Standort soll 2023 zum reinen Spezialviskose-Anbieter werden. 7 NEWS MELLIAND TEXTILBERICHTE 2 | 2023

Umsatz +11,7% für Textil- und Bekleidungs- industrie 2022 Mit separatem Segment Carpets&Rugs Die Konjunkturzahlen des Jahres 2022 sind im Vorjahresvergleich überwiegend positiv. Allerdings haben die Coronakrise und der Ukraine-Krieg die Branche stark belastet: Die Rohstoffpreise und die Energiekosten sind massiv gestiegen. Auch Logistik, Inflation, steigende Zinsen und Verfügbarkeiten hatten teils massive finanzielle Auswirkungen. Zwar stiegen die Umsätze über sämtliche Teilsegmente hinweg, aber den nominalen Umsatzsteigerungen stehen die extremen Kostensteigerungen gegenüber. Dadurch kamen die Renditen stark unter Druck, insbesondere im Textilsegment. Die Bedeutung der Auslandsmärkte steigt weiterhin. Eine optimierte Hallenplanung und das neue Produktsegment Carpets&Rugs erwarten die Besucher und Aussteller auf der kommenden internationalen Fachmesse für Wohn- und Objekttextilien Heimtextil vom 9.–12. Januar 2024 in Frankfurt/M. Die Halle 3 und die neue Halle 5 werden zur Ausstellungsfläche hinzugenommen. Besucher finden in Halle 3 Angebote aus dem Segment Wall Decoration, Textile Technology, das internationale Angebot an Textil-Designern und auch die Heimtextil-Trends 24/25. Der 2023 erfolgreich eingeführte Produktbereich Fibres&Yarns für Deko- und Möbelstoffe wird ausgebaut und neben Interior.Architecture.Hospitality und Decorative&Furniture Fabrics wieder in Halle 4.0 präsentiert. Die Besucher können zur Heimtextil auf das bewährte Angebot von Smart Bedding, Beautiful Living, Bed&Bath Fashion, Asian Excellence und Asian Selection setzen. Bei Be- kleidung sogar von VERBAND: textil+mode FOKUS: Business EVENT: Heimtextil 2024 FOKUS: Business Das neue Produktsegment Carpets & Rugs Die Heimtextil 2024 erweitert ihr Portfolio um ein eigenes Produktsegment für Teppiche. Der Bereich Carpets & Rugs wird in der neuen Messehalle 5.1 zu finden sein. Präsentiert werden abgepasste, handgefertigte und maßangefertigte Teppiche, maschinell hergestellte Webteppiche, Matten und Sauberlaufsysteme sowie Läufer und Brücken. Teppiche sind traditionell fester Bestandteil der Heimtextil und wurden von den Herstellern bisher in unterschiedlichen Hallen präsentiert. Ab 2024 wird das Angebot dauerhaft im jährlichen Rhythmus in einem eigenen Segment zusammengefasst. Damit geht die Heimtextil auf die steigende Nachfrage aus demMarkt ein. Auf der Heimtextil 2023 war die globale Textilindustrie mit 44.000 Besuchern und 2.400 Ausstellern aus 129 Nationen vertreten. Insgesamt schloss die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie 2022 mit einem Umsatzplus von 11,7 % ab. Textil legte um 7,7 %, Bekleidung sogar um 19,4 % zu. Dabei handelt es sich jedoch um den nominalen Zuwachs. Aufgrund der hohen Inflation lag die reale und saisonbereinigte Steigerung für Bekleidung bei etwa +12,0 %. Bei Textil hingegen sank der reale Umsatz aufgrund der starken Betroffenheit von Energiekostensteigerungen und Rohstoffknappheiten um etwa 6,0 %. Bei Textil sind sämtliche Segmente im Plus. Die technischen Textilien und die Vliesstoffe haben absolut und relativ stark zugelegt. Auch Teppiche und Wirk-/Strickwaren haben ihre Umsätze im Vorjahresvergleich klar ausbauen können. Kaum Veränderung gab es bei den konfektionierten Textilwaren nach den in den CoronaJahren relativ deutlichen Zuwächsen bei den Heimtextilien. Das Teppich-Segment verzeichnete nach den zuletzt deutlichen Verlusten wieder ein Plus. Im Bekleidungssegment konnten nahezu sämtliche Teilsegmente nach den Krisenjahren wieder deutlich Umsatz hinzugewinnen. Allein im stärksten Teilsegment, der sonstigen Oberbekleidung, gab es ein Plus von 25,0 %. Im Vergleich dazu fiel die Steigerung bei den Strumpfwaren mit +2,4 % eher gering aus. Die inländische Produktion entwickelte sich in den Segmenten unterschiedlich: Während Textil im Gesamtjahr 2022 etwa 7,1 % weniger Produktion meldete, legte Bekleidung im selben Zeitraum um 9,9 % zu, allerdings von einem durch Corona bedingten sehr niedrigen Niveau ausgehend. Die Exporte und die Umsätze mit dem Ausland haben wesentlich zu den positiven Zahlen des Jahres 2022 beigetragen. Der Ukraine-Krieg brachte weitere Verwerfungen, die die Einschätzungen und Perspektiven der Unternehmen weiter eintrübten. Die Unternehmen bauen aktuell nur zögerlich Personal auf. Das Konjunkturklima konnte noch nicht wieder das Vorkrisenniveau erreichen. Diese Zahlen gehen aus dem aktuellen Konjunkturbericht des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie e.V. (textil+mode), Berlin, hervor. 7,7% 19,4% Bei Textil gibt es ein Plus von 8 NEWS MELLIAND TEXTILBERICHTE 2 | 2023

Mittelstand-Digital- Netzwerk unterstützt weiterhin bei der Digitalisierung NETZWERK: Textil vernetzt FOKUS: Innovation Digitalisierung ist ein nicht endender Prozess. Seit November 2017 begleitete das Mittelstand-4.0-Kompetenzzentrum Textil vernetzt kleine und mittlere Unternehmen der Textil- und Bekleidungsindustrie, des Textilmaschinenbaus und angrenzender Branchen beim Ausbau der Digitalisierung in den Unternehmen. Nach 5 Jahren endet jetzt erst einmal die Projektarbeit. In mehr als 2.400 Veranstaltungen und Gesprächen konnte das Team von Textil vernetzt Unternehmen bei der Vernetzung mit relevanten Partnern und der Einführung von innovativen Technologien zur Seite stehen und für das Thema sensibilisieren. An den Start gegangen war das Zentrum mit dem Ziel, eine Traditionsbranche wie die Textilindustrie und auch ihre an- grenzenden Branchen für das Zeitalter der Digitalisierung auf- zustellen und mit branchenspezifischen Lösungen fit für die Zukunft zu machen. Die in den Projekten entstandenen Demonstratoren, die Techno- logie live erlebbar machen, sind auch für weitere interessierte Unternehmen nutzbar, von der Sensorwand für Retrofitting über VR-Anwendungen in der Maschinenwartung bis zum EscapeRoom zum Thema künstliche Intelligenz oder zur Datenerfassung, Vernetzung und Prozessmodellierung mehrerer Standorte mittels IIoT(Industrial Internet of Things)-Demonstrator. Unter der Federführung des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie e.V. (textil+mode), Berlin, werden gemeinsam mit den Partnern Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf (DITF), Institut für Textiltech- nik (ITA) der RWTH Aachen University, Sächsisches Textil- forschungsinstitut (STFI) und der Mittelstandsverbund – ZGV kleine und mittlere Unternehmen bei der Einführung zukunfts- relevanter Technologien unterstützt. Das Mittelstand-Digital-Zentrum Smarte Kreisläufe gehört zu Mittelstand-Digital. Mit dem Mittelstand-Digital-Netzwerk unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), Berlin, die Digitalisierung in kleinen und mittleren Unternehmen und im Handwerk. 9 NEWS MELLIAND TEXTILBERICHTE 2 | 2023

3D-Körperdaten für Babys und Kleinkinder Um die besonders anspruchsvolle Schnittentwicklung und Passformbeurteilung von Kinderbekleidung zu gewährleisten, haben die Hohenstein Institute, Bönnigheim, erstmals eine Reihenmessung an Babys und Kleinkindern durchgeführt. Hersteller können nun auf diesem gesammelten Wissen aufbauen, um ihre Kinderbekleidung mittels Passformprüfung und Schnittoptimierung passgenau, effizient und nachhaltig zu entwerfen. Seit 1957 erfassen die Hohenstein Institute Körpermaße für alle Zielgruppen. Durch die regelmäßigen Reihenmessungen, schon seit über 20 Jahren auf Basis von 3D-Bodyscans, sind die Hersteller immer auf dem aktuellen Stand. Mit der Erfassung von Kleinkindern und Babys schließt Hohenstein nun erstmals eine große Lücke auf dem deutschen Markt. 5.626 Mädchen und Jungen in den Größen 56 – 182 cm wurden vermessen. Damit stehen erstmals 3D-Scans von Kleinkindern zur Verfügung. Die 3D-Körperdaten bilden eine unverzichtbare Grundlage für kundenspezifische Maßtabellen, kindgerechte Schnitte und Gradierungen, optimale Passformen sowie 3D-Kinderavatare für die Simulation von Bekleidung. Wenn es um sichere Kinderbekleidung geht, bietet Hohenstein unterschiedliche Prüfungen aus einer Hand: Neben Passform und Schnitt für Kinderbekleidung werden Risikobewertungen durchgeführt und es wird die Sicherheit von Kinderbe- kleidung, beispielsweise Kordeln und Zugbänder nach DIN EN 14682, geprüft. Peter Bolten, Christian Prause MANAGEMENT Die weltweit agierende Aunde Group, Mönchengladbach, mit den Teilkonzernen Aunde (Oberflächentechnologien), Isringhausen (Sitzsysteme und Federn), Fehrer (Interieurmodule) sowie Reinert (technische Kunststoffteile) erweitert ihre Führungsspitze und möchte nachhaltig den Wachstumskurs beibehalten. Künftig werden Peter Bolten, Gesellschafter des Familienunternehmens und gleichzeitig CSO der Aunde Group, sowie der langjährige CFO Christian Prause als geschäftsführende Direktoren die Unternehmensgruppe mit ihren etwa 24.000 Mitarbeitern nach außen auch rechtlich vertreten. Dieser Schritt ermöglicht ihnen, noch effizienter die Gruppenunternehmen mit ihren jeweiligen Geschäftsführungen auch im Hinblick auf die Digitalisierung und einheitliche Standards zusammenzuführen. BILD: v.l.n.r.: Rolf Königs, Peter Bolten, Christian Prause (Quelle: Aunde) Mariano Amezcua MANAGEMENT Mariano Amezcua wurde zum neuen Präsidenten von Karl Mayer North America ernannt. Er folgt auf Tony Hooimeijer, der am 1. März 2023 in den Ruhestand gegangen ist. Amezcua wird das gesamte operative Geschäft und die strategischen Initiativen des amerikanischen Tochterunternehmens der Karl Mayer Group, Obertshausen, leiten. Er hat mehr als 25 Jahre Erfahrung in den Bereichen Vertrieb und Professional Services für industrielle Automatisierungs- und Softwareanwendungen. Sein Hauptaugenmerk lag bisher auf der Entwicklung und Umsetzung von Fertigungsstrategien für Cut & Sew Operations in den Bereichen Automobil, Möbel, technische Textilien und Bekleidung. Zuletzt war Amezcua als Präsident und CEO für DAP America, Inc., Norcross, GA/USA, tätig. INSTITUT: Hohenstein FOKUS: Innovation Reihenmessung an Babys und Kleinkindern Passformprüfung und Schnittoptimierung Auf Basis von 3D-Bodyscans Der Rundstrickmaschinenhersteller Terrot hat einen geordneten Investorenprozess gestartet. Die Terrot GmbH, Chemnitz, beabsichtigt, sich auf dem Weg einer übertragenden Sanierung neu aufzustellen. Ende Januar 2023 wurde beim zuständigen Amtsgericht in Chemnitz ein Antrag auf Anordnung einer vorläufigen Eigenverwaltung gestellt, um dringend notwendige Maßnahmen der Restrukturierung unter Insolvenzschutz und in Eigenregie umzusetzen. Der Schritt war erforderlich geworden, weil die Auswirkungen der Corona-Pandemie, des Ukraine-Krieges und der damit verbundenen massiven Steigerung der Energiekosten die Geschäftsentwicklung des Unternehmens zuletzt stark belastet haben. In der Eigenverwaltung wird der Geschäftsbetrieb der Terrot GmbH aufrechterhalten und fortgeführt. Produktion, Liefer- und Termintreue sind auch weiterhin gewährleistet. Der Chemnitzer Textilmaschinenhersteller Terrot GmbH, wurde 1862 gegründet. Zum Sortiment gehören heute elektronisch und mechanisch gesteuerte Single- und Double-Jersey-Maschinen der Marken Pilotelli und Terrot. In Chemnitz beschäftigt die Terrot GmbH rund 200 Mitarbeiter. Suche nach einem Investor für Sanierung UNTERNEHMEN: Terrot FOKUS: Business 10 NEWS MELLIAND TEXTILBERICHTE 2 | 2023

Der Membranhersteller Sympatex präsentierte recycelbare Textillösungen auf den Performance Days München vom 15.–16. März 2023. Das Unternehmen ist seit jeher frei von PFAS und PTFE. Ergänzend dazu stellte die Sympatex Technologies GmbH, Unterföhring, 3 neue High-Performance-Produkte aus recycelten Polyestertextilien vor, die dem Modell der Kreislaufwirtschaft folgen. Die monomateriellen, GRS-zertifizierten Artikel können am Ende des Produktlebenszyklus in den tex- tilen Kreislauf zurückgeführt werden. Damit entsprechen die Produkte bereits der zukünftigen verbindlichen, nachhaltigen Textilstrategie der Europäischen Kommission. Die Aufnahme der Artikel „Minzhu“, „Minzhu Spring“ und „Minzhu Sky“ im Produktportfolio ist der einfachsteWeg, um das Ziel, bis 2030 zu 100 % kreislauffähig zu sein, zu erreichen. Diese sind die Produkte mit dem derzeit geringsten ökologischen Fußabdruck. Um Ressourcen zu schonen, ist das Sympatex-Portfolio „ungefärbt“ in einem naturweißen Farbton erhältlich. Allein durch den Wegfall des Färbeprozesses spart ein ungefärbtes Sympatex- PFAS-freie Lösungen für Funktionstextilien UNTERNEHMEN: Sympatex FOKUS: Recycling Laminat im Vergleich zu konventionell gefärbten Materialien durchschnittlich 19 % Wasser und 16 % CO2 ein. Der Herstellungsprozess spart Energie und sorgt für einen deutlich geringeren Einsatz von schädlichen Chemikalien. Der Artikel L1665 Banff Spring Undyed bietet das erste ungefärbte Sympatex- Laminat aus 100 % recyceltem fiber2fiber-Garn, das aus chemisch recycelten Altkleidern und Stoffresten hergestellt wurde. Die klimaneutrale, PTFE- und PFAS-freie Membran eignet sich für den Einsatz in den Bereichen Lifestyle, Outdoor und Sportbekleidung. Da PFAS im Rampenlicht stehen, ändert sich die Lösung für wasserdichte Membranen schneller als vorhergesagt. Auf der Stoffseite kann man bereits die Auswirkungen des kommenden EU Green Deal erkennen. Die Performance Days haben daher am ersten Tag eine ausführliche Sitzung mit den 10 führenden Stoffverarbeitern organisiert, die ihre Lösungen im Pecha-Kucha-Format präsentierten. Diese Sitzung wurde durch ein Panel mit Membranherstellern in 2 Teile geteilt. 11 NEWS MELLIAND TEXTILBERICHTE 2 | 2023

Als einen Hersteller von Garnen für Badeanzüge, Sockenränder und Wäschebündchen gründete Werner Zimmermann 1953 die W. Zimmermann GmbH & Co. KG, Weiler-Simmerberg. In den 70 Jahren der Unternehmensgeschichte ist viel passiert, angefangen von der Standorterweiterung Anfang der 1960erJahre bis zur Firmenübernahme durch die Geiger Gruppe, Oberstdorf, im Jahr 1991. Es folgten Jahre des Aufbruchs und der Expansion. Anfang der 2000er-Jahre erweiterte Zimmermann sein Markenportfolio und expandierte ins Ausland. Neben einer zusätzlichen Produktionsstätte in Aichach gründete das Unternehmen gemeinsam mit dem Garnhersteller Adatex S/A, Im Geschäftsjahr 2022 konnte der Oerlikon-Konzern den Umsatz um 9,8 % auf 2,9 Mrd. sfr steigern. Bei konstantenWechselkursen erhöhte sich der Konzernumsatz um 13,9 %. Die Division Polymer Processing Solutions der Oerlikon Management AG, Pfäffikon/Schweiz, verzeichnete im 1. Halbjahr 2022 eine kräftige Marktnachfrage. Im 2. Halbjahr wirkte sich der weltweite Rückgang bei Ausgaben für Textilien aus, sodass einige Kunden ihre Bestellungen verschoben. Der Umsatz in diesem Segment stieg um 11,7 % (währungsbereinigt um 16,2 %) auf 1,53 Mrd. sfr, was auf das Filament- und Non-Filament-Geschäft und zum Teil auch auf das Oerlikon- HRSflow-Geschäft zurückzuführen war. Letzteres erreichte ein Allzeithoch beim Umsatz und konnte seinen Marktanteil deutlich steigern. Aufgrund negativer Währungseffekte ging der Auftragseingang im 4. Quartal 2022 (Q4) zurück. Beim Auftragseingang konnte 2022 ein Rekord erzielt werden. Es konnten Aufträge in Höhe von 1,57 Mrd. sfr (+8,3 %, währungsbereinigt + 12,4 %) verbucht werden. Das operative EBITDA verbesserte sich 2022 und stieg um 14,6 % auf 244 Mill. sfr. Die Marge verbesserte sich auf 16,0 % des Umsatzes, was auf positive Effekte aus operativem Leverage, Kostenkontrolle und Akquisition zurückzuführen ist. In Q4 fiel die Marge tiefer aus als imVorjahr. Dies ist auf positive Mixeffekte in Q4 2021 sowie Kosten im Zusammenhang mit dem Anstieg der Covid-19-Fälle in China in Q4 2022 zurückzuführen. Zudem wurde in Q4 2022 eine Rückstellung für den Inflationsausgleich gebildet. In Q4 begann daher die Division Polymer Processing Solutions proaktiv mit der Umsetzung von Maßnahmen zur Sicherung ihrer Kostenbasis. Dabei ist mit einer Verkleinerung der Division um mehr als 800 Mitarbeitende zu rechnen. 70-jähriges Jubiläum Erneut mehr Aufträge und Umsätze 2022 São Paulo/Brasilien, eine Produktionsgemeinschaft in Brasilien. Darüber hinaus kaufte Zimmermann die Mehrheitsanteile des Unternehmens DynaYarn, Graham, NC/USA, und positionierte sich mit diesem strategischen Schritt auch am amerikanischen Markt. Insgesamt zählen zu Zimmermann mittlerweile etwa 180 Mitarbeiter an 4 Standorten. Jährlich produziert Zimmermann mehrere hundert Garnkombinationen für unterschiedliche Einsatzbereiche. Im Laufe der Jahre hat das Unternehmen über 7.000 verschiedene Konstruktionen entwickelt, die für Kunden die Grundlage für eine Vielzahl kreativer Ideen und Anwendungen bilden. UNTERNEHMEN: Zimmermann FOKUS: Jubiläum UNTERNEHMEN: Oerlikon FOKUS: Business Im Februar 2023 feierten die Dienes Werke ihr 110-jähriges Bestehen. Das Unternehmen wurde in Remscheid gegründet und zog nach dem ErstenWeltkrieg an seinen heutigen Standort um. Die Dienes Werke für Maschinenteile GmbH & Co. KG, Overath, hat ihr Produktprogramm stets diversifiziert, sodass neben Rundmessern u.a. Messerhalter, Schneidbüchsen, ganze Schneidsysteme und ein breites Angebot an Services und Dienstleistungen angeboten werden. Digitale Services aus der Produktfamilie TEOC (The End Of Coincidences) runden das Portfolio in Form von Hard- und Software mit der Zielsetzung ab, den Kunden datenbasierte Optimierungen zu ermöglichen. Als weiteres Standbein ist das Unternehmen in der Ventiltechnik für die industrielle Anwendung bei Kompressoren, Pumpen und Verdichtern tätig. Neben dem Firmenjubiläum freuen sich die Dienes Werke, mit Julian Supe-Dienes seit März 2023 ein zusätzliches Familienmitglied in der Geschäftsführung begrüßen zu dürfen. Derzeit ist Dipl.-Ing. Rudolf Supe-Dienes, der das Unternehmen ursprünglich mit seinem Bruder Bernd in der 3. Generation geführt hat, der alleinige Geschäftsführer. Mit Julian Supe-Dienes ist nun auch die 4. Generation in der Geschäftsführung vertreten. Nach seinem Studium des Wirtschaftsingenieurwesens in Aachen sammelte er berufliche Erfahrungen in international führenden Unternehmen, bevor er im September 2021 in das Familien- unternehmen als Vertriebsleiter einstieg. Mit Maja Supe-Dienes ist zum 1. März 2023 ein weiteres Mitglied der Gründerfamilie ins Unternehmen eingestiegen. Als Projektleiterin im Bereich der Firmenentwicklung und Optimierung wird sie in enger Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung neue Geschäftsstrategien entwickeln und umsetzen, um das Unternehmen weiterhin zukunftssicher aufzustellen. Nach ihrem Master in Management absolvierte sie ein Traineeship bei Dienes und war im Anschluss in einer führenden Unter- nehmensberatung tätig. 110 Jahre und 4 Generationen Familiengeschichte UNTERNEHMEN: Dienes FOKUS: Jubiläum 12 NEWS MELLIAND TEXTILBERICHTE 2 | 2023

Am 28. Februar 2023 gab Archroma den Abschluss der Übernahme des Geschäftsbereichs Textile Effects der Huntsman Corp., The Woodlands, TX/USA, bekannt. Heike van de Kerkhof, Chief Executive Officer (CEO) der Archroma-Gruppe, bezeichnete die Transaktion bei der Bekanntgabe im August 2022 als „Fusion unter Gleichen“. In der Tat umfasst das globale Geschäft von Huntsman Textile Effects ca. 2.300 Mitarbeiter in 33 Ländern und 10 Produktionsstandorte weltweit. Zusammen mit Archroma wird das Unternehmen dann insgesamt mehr als 5.000 Mitarbeiter in 42 Ländern mit 35 Produktionsstandorten haben. Die kombinierten Produktportfolios beider Unternehmen werden sich in hohem Maße ergänzen. Die Archroma Management GmbH, Pratteln/Schweiz, ein Portfoliounternehmen der privaten Investmentgesellschaft SK Capital Partners, LP, New York, NY/USA, ist ein führender Anbieter von nachhaltigen Spezialchemikalien für die Textil-, Papier- und Verpackungsindustrie sowie für Farben und Lacke. Neue Segmente mit neuen Namen Mit der Akquisition von Huntsman Textile Effects wird Archroma in 2 operative Geschäftsbereiche unterteilt, die sich jeweils auf einen separaten Endmarkt konzentrieren. Das von Huntsman erworbene Geschäft Textile Effects wird mit dem Geschäftsbereich Brand&Performance Textile Specialties von Archroma in dem neuen Geschäftsbereich mit dem Namen Archroma Textile Effects zusammengeführt. Dieser Geschäftsbereich wird von Rohit Aggarwal, dem ehemaligen Präsidenten von Huntsman Textile Effects, geleitet, der zum Divisionspräsidenten und CEO der Archroma Division Textile Effects sowie zum Präsidenten Asien ernannt wird. Die Geschäftsbereiche Packaging & Paper Specialties und Coatings, Adhesives & Sealants von Archroma wurden kürzlich zum neuen Geschäftsbereich Archroma Paper, Packaging & Coatings zusammengefasst. Neuer Name ist Archroma Textile Effects UNTERNEHMEN: Archroma/Huntsman Textile Effects FOKUS: Business V.l.n.r.: Thomas Bucher, Heike van de Kerkhof, Sameer Singla, Rohit Aggarwal Am 28. Februar 2023 kaufte der Gesellschafter von Pfaff Industrial, die Dürkopp Adler GmbH, in Anwesenheit des chinesischen Gesellschafters der ShangGong Group, Herrn Zhang Min, das Optionsgrundstück im Stubenwald II in Bensheim. Damit erweitert sich das Firmengelände der Pfaff Industriesysteme und Maschinen GmbH am Standort Bensheim von bislang 16.000 auf insgesamt 30.000 m². Es soll mit einem Erweiterungsgebäude bebaut werden und stellt ein klares Bekenntnis zum Standort Bensheim dar. Hier werden vorwiegend nähtechnische Automatisierungslösungen in den Bereichen Automotive, Umwelt und Filtertechnik sowie in den Bereichen Luftfahrt und Heimtextilien entwickelt und gefertigt. Die Pfaff Industriesysteme und Maschinen GmbH, Kaiserslautern, sowie die Dürkopp Adler GmbH, Bielefeld, sind Mitglieder der ShangGong Group, Shanghai /China, eines führenden Konzerns für industrielle Näh- und Schweißtechnik mit einem internationalen Vertriebs- und Service-Netzwerk und insgesamt 4.000 Mitarbeitern weltweit. Grundstückskauf in Bensheim durch Dürkopp Adler UNTERNEHMEN: Pfaff Industrial FOKUS: Investition Dornbirn Global Fiber Congress 62 . DORNBIRN GFC Information and Ticket Registration: www.dornbirn-gfc.com September 2023 13 15 13 NEWS MELLIAND TEXTILBERICHTE 2 | 2023

Technologie BILD 1 Verfahren zur Herstellung von Bio-Adipinsäure Adipinsäure ist der Grundstoff zur Herstellung von Polyamid 6.6 (PA 6.6). Toray Industries Inc., Tokio/Japan, hat nun eine Adipinsäure entwickelt, die zu 100 % aus biobasierten Rohstoffen besteht. Das Verfahren nutzt Zucker aus Biomasse, die nicht für die Herstellung von Lebensmitteln geeignet ist. Die firmeneigene Synthesetechnik kombiniert eine mikrobielle Fermentationstechnologie mit einer chemischen Reinigungstechnologie mit Trennmembranen. Das Unterneh- men wird in den kommenden Jahren eine Produktionstechnologie entwickeln und die Polymerisation von PA 6.6 testen. Anwendungen für die biobasierte Adipinsäure sollen bis etwa 2030 kommerziell einsetzbar sein. Toray Tokio / Japan PA 6.6 ist außergewöhnlich haltbar und fest und wird seit vielen Jahren für Fasern, Harze und andere Anwendungen verwendet. Der Wunsch, für PA 6.6 eine nachhaltige Alternative zu entwickeln, hat in den letzten Jahren zugenommen. Bei Adipinsäure besteht eine Herausforderung darin, dass bei der herkömmlichen chemischen Synthese das Treibhausgas Distickstoffmonoxid entsteht. Für das neue Verfahren werden Mikroorganismen genutzt, die aus Zuckern ein Adipinsäure-Zwischenprodukt herstellen. Die Gene dieser Mikroorganismen wurden neu kombiniert, wodurch sich die Effizienz des Stoffwechsels steigern ließ. Dabei kamen Methoden der Bioinformatik zum Einsatz, um optimale mikrobielle Fermentationswege für die Synthese zu finden. Die Mikroorganismen steigern die Ausbeute des Zwischenprodukts bei der Synthese um mehr als das Tausendfache. Umkehrosmose-Trennmembranen reinigen das Zwischenprodukt und erhöhen die Konzentration. Dieser Ansatz ist besonders energieeffizient. Bei diesem Verfahren zur Herstellung von Bio-Adipinsäure entsteht im Gegensatz zu den Herstellungsverfahren aus Erdöl kein Distickstoffmonoxid. Es leistet damit einen Beitrag zur Bekämpfung der globalen Erwärmung. Technologie Toray entwickelt ein Verfahren zur Herstellung von Zuckern aus Ernterückständen und anderen nicht essbaren pflanzlichen Ressourcen. Diese Zucker können als Rohstoff für biobasierte Adipinsäure verwendet werden. Das Unternehmen wäre damit in der Lage, eine vollständige Lieferkette für die Herstellung von Chemikalien aus Biomasse zu schaffen und so denWeg zu einer Kreislaufwirtschaft zu ebnen. (Bild 1) Dazu wird in 2 Projekten gemeinsam mit dem National Institute of Advanced Industrial Science and Technology (AIST), Tsukuba / Japan, und dem RIKEN, Saitima, Japans größter Forschungseinrichtung, geforscht. Die Projekte erhalten Mittel der New Energy and Industrial Technology Development Organization (NEDO), Kawasaki / Japan. Das erste Projekt befasst sich mit der Entwicklung von Produktionstechniken für hochfunktionale Biomaterialien unter Verwendung von intelligenten Zellen aus Pflanzen und anderen Organismen, das zweite laufende Projekt behandelt die Entwicklung einer biobasierten Produktionstechnologie zur Beschleunigung des Kohlenstoffrecyclings. Mit solchen Entwicklungen möchte die Toray-Gruppe innovative Technologien und fortschrittliche Materiallösungen für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft unterstützen. Die neue Produktionstechnologie für Bio-Adipinsäure ist Teil der Bemühungen des Unternehmens, bis 2050 kohlenstoffneutral zu werden. CO2 Zucker Pflanzen (nicht essbare Biomasse) Reinigung mit Membran Adipinsäure Hexamethylen- diamin Mikrobiologische Fermentation Polyamid 6.6 14 MELLIAND TEXTILBERICHTE 2 | 2023 FASERN & GARNE FASERN & GARNE

Membrantypen Mikrofiltration Ultrafiltration Nanofiltration Umkehrosmose Bestandteile der Fermentationsbrühe Mikroorganismen Proteine Biomoleküle Multivalente Ionen mittelgroße Moleküle Zwischenprodukt Größe (µm) Entfernen von Verunreinigungen Entfernen von Verunreinigungen Konzentration Reinigung von Biochemikalien mit Membranen Verdampfen Verdampfen RO-Membran Aufkonzentrieren konventionell Aufkonzentrieren energiesparend BILD 3 BILD 2 BILD 4 Literatur 1. Development of Production Techniques for Highly Functional Biomaterials Using Plant and Other Organism Smart Cells, www.nedo.go.jp/english/activities/ activities_ZZJP_100118.html 2. International Demonstration Projects on Japan's Energy Efficiency Technologies/ Demonstration Project for an Energy-Saving Cellulosic Sugar Production System Using Bagasse, www.nedo.go.jp/english/activities/ activities_AT1_00175.html, www.nedo.go.jp/ english/news/AA5en_100389.html 3. Membranen von Toray zur Wasser-Behandlung, www.water.toray/ 4. Torays New Frontiers Forschungslabor, www.toray.com/global/technology/organization/laboratories/lab_008.html MIKROBIELLE FERMENTATION Enzyme führen chemische Reaktionen aus und erzeugen ein Zwischen- produkt aus Zuckern. (Bild 2) GENETISCHE REKOMBINATION Eine genetische Rekombination ermöglicht das Ausschneiden oder Einfügen von Genen für eine effizientere Synthese. (Bild 3) Zucker Adipinsäure Hexamethylendiamin Polyamid 6.6 Zwischen- produkt Zwischen- produkt Mikrobielle Fermentation Enzyme Verdünnung Verdünnung Wasser Wasser Wasser Wasser Konzentrierte Lösung Konzentrierte Lösung Konzentrierte Lösung Chemische Reaktionen Zucker Zwischenprodukt A B C Reinigung mit Membran Gene BIOINFORMATIK Methoden der Bioinformatik designen aus Tausenden chemischen Reaktionen den optimalen Weg für den Stoffwechsel der Mikroorganismen. CHEMISCHE REINIGUNG MIT MEMBRANEN Membranen für die Mikro-, Ultra- und Nanofiltration trennen und entfernen unerwünschte Stoffe in der Fermentationsbrühe. Membranen mit Umkehrosmose konzentrieren die Zwischenprodukte auf. Das kann den Energieverbrauch im Vergleich zum Aufkonzentrieren durch Verdampfen reduzieren. (Bild 4) 10 1 0,1 0,01 0,001 Zwischenprodukt Zwischenprodukt Verunreinigung Mikroorganismen Zucker Pflanze 15 MELLIAND TEXTILBERICHTE 2 | 2023 FASERN & GARNE

Es ist unübersehbar und der Trend ist unumkehrbar: Die Textilindustrie hat erkannt, dass Nachhaltigkeit gelebt werden muss und Lippenbekenntnisse nicht reichen. Und zwar nicht aus einer selbstlosen, sondern einer sehr handfesten wirtschaftlichen Motivation heraus. Meldungen über fehlende Nachhaltigkeit oder Produktionsmissstände bedrohen das Image der Modemarken, ihr größtes Asset, viel mehr als früher. Angetrieben wird dies von der zunehmenden Transparenz durch Social Media und NGOs. Insbesondere eine der wichtigsten Zielgruppen, die junge Generation, die angesichts der drängenden Umweltprobleme ohnehin mit Sorge in die Zukunft blickt, fordert Veränderung. Die Missstände zu beheben ist das eine, den Ruf zu korrigieren ist meistens viel teurer und langwieriger. Die EU hat dieses in der Gesellschaft weitgehend akzeptierte Problem in ihr Green-New-Deal-Programm aufgenommen. Die im Juni 2022 lancierte «EU Strategy for Sustainable and Circular Textiles» hat eine nachhaltige Textil-Kreislaufwirtschaft zum Ziel. Sie strebt u.a. umwelt- und sozialverträgliche Herstellverfahren, recycelbare Fasern, Faser-zu-Faser-Recycling, langlebige Textilien und eine Verantwortung der Textil-Produzenten über die gesamte Versorgungskette inklusive Textilabfall an. Zudem will sie mit der EU-Direktive 2019/904 für Single-Use-Plastic (SUP) den CO2-Fußabdruck und Mikroplastik reduzieren. Damit nicht genug der Veränderungen des strategischen Umfelds der Textil-Industrie: In den letzten Jahren haben uns noch die leidvollen Erfahrungen aus der Covid-19-Krise und Russlands Krieg gegen die Ukraine vor Augen geführt, dass die Kehrseite von Versorgungsabhängigkeiten offensichtlich unterschätzt wurde. Zusammengefasst bedeutet das eine Umstellung auf umwelt- und sozialverträgliche Herstellungsverfahren von CO2-neutralen, recycelbaren, (möglichst) plastikfreien und qualitativ hochwertigen Textilien aus transparenten und weniger störanfälligen Produktionsketten, sowie ein Recycling, das über den Wiederverkauf als Secondhand und das Kompostieren hinausgeht. Dass diese Umstellung erfolgen wird, darüber besteht kein Zweifel. Es ist jedoch noch offen, wie die neue Textilwelt aussehen wird, welche Produkte und Strukturen sich etablieren werden, wer die Gewinner und wer die Verlierer sein werden. Das Rennen ist im Gang. Die etablierten Fasern weisen alle handfeste Nachhaltigkeitsdefizite auf: Polyesterfasern erfüllen die Kriterien der Textilwelt der Zukunft nicht, weil sie auf fossilen Rohstoffen basieren und Mikroplastik generieren. Selbst recycelte Polyestertextilien verursachen immer noch mit jedemWaschzyklus Mikroplastik. Lyocell 2.0 Manuel Steiner List Technology AG, Arisdorf /Schweiz Der Einzug der Man-Made Cellulosic Fibers (MMCF) ist nicht mehr aufzuhalten. Zurzeit werden die Weichen gestellt und neue industrielle Strukturen etablieren sich. In diesem Zusammenhang stehen auch die neuen Prozesstechnologien für Lyocell, die die Umstellung der Industrie auf Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft ermöglichen: Lyocell 2.0. Baumwolle hat diese Nachhaltigkeitsnachteile nicht, aber ihre weltweite Produktionskapazität stagniert. Ihr unglaublich hoher Wasserverbrauch hat den Aralsee fast ganz ausgetrocknet und eine Salzwüste hinterlassen, sodass die dort traditionell ansässigen Anbaugebiete in große Bedrängnis gekommen sind. Der immer noch gute Ruf der Baumwolle ist angesichts dieses großen Nachhaltigkeitsdefizits sehr erstaunlich. Man-Made Cellulosic Fibers (MMCF) Weil sie auf nachwachsenden Rohstoffen basieren und biologisch abbaubar sind, ist das Interesse an MMCF in den letzten Jahren stark gestiegen. Da sie wie Baumwolle cellulosebasiert sind, können sie Feuchtigkeit besser als Polyester (PES) absorbieren und weisen dadurch einen höheren Tragekomfort auf. Bei den MMCF-Verfahren liegt die Cellulose anfänglich als Chemiezellstoff vor, engl. Dissolving Pulp bzw. DissolvingWood Pulp (DWP), wenn holzbasiert. Dessen Herstellung ist dem Papierherstellungsverfahren ähnlich. Das Holz für die Cellulose wird mehrheitlich aus zertifizierten Baumplantagen und Wäldern gewonnen. Allerdings erreichen die traditionellen MMCF aktuell nicht die Reißfestigkeiten der PES-Fasern. Zudem sind PES- Fasern billiger als MMCF. Dies berücksichtigt jedoch die Kosten für die von PES verursachten Umweltschäden nicht, die von zukünftigen Generationen zu tragen sind. VISKOSE Viskose ist die traditionelle und heute noch ammeisten verbreitete MMCF. Das Herstellungsverfahren ist jedoch wegen dessen Gefährdungspotenzials für Mensch und Umwelt in Verruf geraten. Deshalb werden kaum mehr neue Viskoseanlagen geplant. Das Viskoseverfahren überführt den Chemiezellstoff zuerst in Xanthogenat, das dann in Natronlauge gelöst wird. Die viskose Spinnlösung (daher der Name Viskose) wird dann durch eine Spinndüse in ein säurehaltiges Fällbad gepresst, wodurch Fasern gewonnen werden. Die Bildung des Xanthogenats (ein sog. Derivat) ist eine chemische Reaktion und mit einem deutlichen Abbau der Cellulose-Polymerketten verbunden. Deshalb eignen sich Viskosefasern nicht zum Recyceln. LYOCELL Die heute am weitesten entwickelte Faser, die alle aufgeführten Anforderungen erfüllt, ist Lyocell. Das Lyocell-Verfahren ist ein physikalisches Lösen ohne chemische Reaktionen und ohne 16 MELLIAND TEXTILBERICHTE 2 | 2023 FASERN & GARNE

Zwischenschritt über ein Derivat. Der Zellstoff wird mit dem nicht toxischen, Lösungsmittel N-Methylmorpholin-N-oxid (NMMO) ohne Derivatisierung direkt gelöst, sodass eine Spinnlösung entsteht. Diese wird durch eine Spinndüse in einWasserbad gepresst, wobei Filamente bzw. Fasern entstehen. Da aus dem Chemiezellstoff nicht zuerst ein Derivat generiert werden muss, wird dieses Verfahren auch Direktlöseverfahren genannt. Wegen des Ausbleibens einer chemischen Reaktion bleiben die molekularen Strukturen des Zellstoffs weitgehend unverändert und die Cellulose-Polymerketten bestehen, was von strategischer Bedeutung ist: Eine Cellulose mit längeren Polymerketten führt so auch z.B. zu höheren Reißfestigkeiten. Durch den Erhalt der Ketten eignen sich die Direktlöseverfahren zudem auch für das Recycling. In der technischen Umsetzung benötigt die Handhabung des NMMOs besondere Aufmerksamkeit. Einerseits ist NMMO bei hohen Temperaturen thermisch sensibel (Risiko einer Explosion durch eine autokatalytische Zersetzung), sodass die Temperaturführung große Aufmerksamkeit benötigt. Zudem ist NMMO teuer, sodass die Aufarbeitung des gebrauchten NMMO ein betriebskostenentscheidender Erfolgsfaktor ist. Die Viskosität einer Lyocell-Spinnlösung ist höher als diejenige von Viskose, sodass andere Maschinen im Herstellprozess als im Viskoseprozess notwendig sind. Globales Wachstum Betrachtet man die Verdoppelung des Produktionsvolumens der letzten 20 Jahre, ist eindrücklich erkennbar, dass der Polyesterfaser-Anteil überproportional gewachsen ist (Bild 1). Der bekannte «Cellulose Gap», die Differenz von Baumwollfaser-Nachfrage und -Angebot, wurde hauptsächlich von Polyester gefüllt und nicht von MMCF. Und dasWachstum geht weiter. Schon nur um das weitere Wachstum von Polyester durch MMCF auch nur teilweise zu ersetzen, benötigt man große MMCF-Produktionskapazitäten und -Rohmaterialien. Um das globale Faserwachstum abzudecken, müsste die globale MMCF-Produktion jährlich um die Produktion von 2001 wachsen. Das gleiche Wachstum gälte auch für die heute vollständig auf Holzwirtschaft basierende Produktion von Chemiezellstoff, des Ausgangsmaterials von MMFC. Somit stellt sich die Frage nach einer alternativen Biomasse. Alternative Biomassen Zurzeit gibt es mehrere Initiativen, um alternative Biomassen als Rohmaterial für MMCF zu nutzen. Sie alle müssen einen Entwicklungsprozess durchlaufen. Einerseits geht es um die Entwicklung eines geeigneten Chemiezellstoffs, woraus sich marktfähige Fasern herstellen lassen, andererseits um marktgängige Beschaffungskosten der Biomasse. Beispielsweise fällt Biomasse aus Agrarabfällen durch ihre niedrige Schüttdichte dezentraler und öfter an als Holz, sodass für den Business Case auch die Logistikkosten entscheidend werden. BEISPIEL HANF Hanf gehört zu den ältesten Kulturpflanzen der Welt mit mehreren Verwendungszwecken, u.a. Fasern für Seile. Kein Wunder, dass seine Cellulose lange Polymerketten aufweist. Hanf erfuhr ursprünglich ein Revival als cellulosereicher Agrarabfall/Biomasse. Hanf hat sich in mehreren R&D-Projekten als sehr geeignete Biomasse für MMCF erwiesen, und zwar nicht nur die Hanffasern sondern auch die Hanfschäben, die ungefähr 50 % der Biomasse ausmachen. Hanf, wie alle nicht holzbasierten Cellulosen, hat zudem den Vorteil, dass in der Weiterverarbeitung kaum Lignin entfernt werden muss. Zudem ermöglicht die hohe Kettenlänge, sogar Lyocellfasern mit höheren Reißfestigkeiten als Lyocell aus regulärem Holzzellstoff zu erzeugen. Deshalb wird Hanfanbau inzwischen auch primär zur Nutzung als Cellulosequelle angestrebt. Hanf wächst auch auf kargen Böden und steht somit nicht in Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau. Er ist ein gutes Beispiel einer innovativen, wirtschaftlichen, nachhaltigen Nutzung einer cellulosereichen Biomasse. Andere werden folgen. BAUMWOLL-TEXTILRECYCLING Wie Hanf ist auch Baumwolle eine sehr alte cellulosereiche Kulturpflanze für Naturfasern mit langen Cellulose-Polymerketten und eignet sich als hochwertige Cellulose für reißfestere Lyocellfasern. Angesichts dieser guten Eignung als Cellulosequelle für MMCF wird der EU-Entscheid zu den Textil- Recyclingvorschriften große Änderungen nach sich ziehen. Globales Faserwachstum BILD 1 2001 Total: 57MT Andere 10% Baumwolle 35% MMCF 5% Synthesefasern 50% Andere 6% Baumwolle 23% MMCF 6% Synthesefasern 65% 2019 Total: 113MT Nächste Seite 17 MELLIAND TEXTILBERICHTE 2 | 2023 FASERN & GARNE

RkJQdWJsaXNoZXIy MTA3MTYwNg==